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Über forschende Ärzte und die Neustrukturierung der Hochschulmedizin

Professor Daniel C. Baumgart ist nicht nur selbst an der Schnittstelle von Klinik und Wissenschaft tätig, sondern setzt sich aktiv für die klinische Forschung ein. Worüber er forscht und welche Entwicklungen er sich für forschende Medizinerinnen und Mediziner in der Hochschulmedizin wünscht, hat er uns bei einem gemeinsamen Treffen erzählt. 

Herr Professor Baumgart, Sie arbeiten nicht nur in der Klinik, sondern sind auch in der Forschung sehr engagiert, woher stammt dieses Interesse?

Die meisten Menschen im Gesundheitsbereich haben eine ungewöhnliche Motivation, anderen zu helfen. Als Arzt oder Ärztin wendet man nicht nur vorhandenes Wissen aus Büchern an, sondern entwickelt es auch weiter. Mein Schlüsselerlebnis war zum Ende des Studiums, als ich zum ersten Mal Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen kennenlernte. Das Schicksal dieser Menschen, die zu dem Zeitpunkt mein Alter hatten, bewegte mich sehr. Da wurde mir bewusst, dass man mit den vorhandenen Mitteln nur ihre Symptome lindern kann, und nur die Forschung neue Hoffnung verspricht. Der Unterschied zwischen mir und einem reinen Naturwissenschaftler ist also, dass ich erst dann begeistert bin, wenn man aus einem Erkenntnisgewinn eine Anwendung entwickelt.

Womit beschäftigen Sie sich in Ihrer Forschung?

Meine Arbeitsgruppe befasst sich mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen. Dabei handelt sich um eine Erkrankungsgruppe, bei welcher das Immunsystem schon im jungen Alter eine Überantwort gegenüber den Mikroben entwickelt, mit denen unser Körper normalerweise in Symbiose lebt. Die Erkrankung entsteht dadurch, dass ein sehr fundamentales Prinzip, die Unterscheidung von „fremd und körpereigen“ nicht bei allen Menschen immer optimal funktioniert. Zum Zeitpunkt seiner Erstehung konnte das Immunsystem noch nicht wissen, wie unsere Umwelt heute aussehen würde. Daher hat es einen cleveren Mechanismus entwickelt, um dennoch zu entscheiden, ob es sich um etwas Fremdes oder etwas Körpereigenes handelt.

Daniel Baumgart

Förderprogramm

BIH Clinical Fellows

Förderzeitraum

2015 bis 2016

Fachgebiet

Gastroenterologie

Institution

Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

Seit 2017

Professor für Gastroenterologie und Hepatologie, Leiter der Universitätsklinik an der University of Alberta sowie der kommunalen Krankenhäuser in Edmonton, Alberta, Kanada

2012 bis 2017

Leiter des interdisziplinären Zentrums für entzündliche Darmerkrankungen, Charité – Universitätsmedizin Berlin

2004 bis 2017

Oberarzt der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hepatologie, Gastroenterologie, Endokrinologie und Stoffwechsel, Charité – Universitätsmedizin Berlin

Ist es etwas Fremdes, so muss eine Abwehrreaktion initiiert werden. Sind es Mikroben, mit denen wir in Symbiose leben, darf diese Reaktion nicht stattfinden. Dafür hat es sogenannte „toll-like-Rezeptoren“ entwickelt, welche die Eigenschaften verschiedener Moleküle vergleichen können. Eine der Hypothesen zur Krankheitsentstehung chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen ist, dass die körpereigenen Bakterien als Pathogene fehlerkannt werden und dadurch eine chronische Entzündungsreaktion entsteht.

Was bedeutet diese Fehlerkennung für die Patienten?

Die Patienten sind in ihrer persönlichen und beruflichen Entwicklung enorm eingeschränkt und beanspruchen zahlreiche personelle und finanzielle Ressourcen des Gesundheitssystems. Die bisherigen Therapien können die Ursache nicht bekämpfen. Selbst eine Gentherapie würde nicht ausreichen, da die Krankheit auch eine Umweltkomponente hat. Die Genetik verstehen wir mittlerweile ganz gut und mit neuer Methodik versuchen wir nun, die 80 Prozent fehlenden Informationen der Krankheitsentstehung aufzudecken. Dafür habe ich ein großes Forschungs- und Behandlungszentrum mit ungefähr 5.000 Patienten aufgebaut. Auch im internationalen Vergleich ist das eine große Kohorte. Wir entwickeln innovative Therapien, anfangen von der neuen Idee bis hin zu einem weit entwickelten Produkt. Gleichzeitig habe ich eine Arbeitsgruppe aufgebaut, in der wir uns beispielsweise mit der Fehlererkennung im Immunsystem beschäftigen. Dabei spielt ein bestimmter Zelltyp eine Rolle, die dendritische Zelle. Wir haben mit den Kollegen vom Deutschen Rheumaforschungszentrum (DRFZ) eine Methode entwickelt, um diese seltene Zellpopulation aus menschlichen Geweben zu isolieren. Das war quasi unser Alleinstellungsmerkmal.

Womit beschäftigten Sie sich in dem durch die Stiftung Charité geförderten Projekt?

Eine große Rolle in unserer Forschung spielt die Weiterentwicklung bildgebender Techniken. Diese sind wichtig, um bei Darmerkrankungen Vorstufen von Tumoren zu erkennen. Diese treten häufig auf, wenn die Entzündungsprozesse außer Kontrolle geraten. Ein Bereich, der sich rasant weiterentwickelt, ist der Ultraschall. Bis vor kurzem konnte man per Ultraschall zwar bewegte Bilder aufnehmen, aber nicht die elastischen Gewebeeigenschaften untersuchen. Heute kann man in einem Ultraschallbild nicht nur anatomische Strukturen und die Durchblutung darstellen, sondern auch mechanische Eigenschaften erfassen, beispielsweise, ob Gewebe steif oder weich ist. Das ist wichtig, um einen Erkrankungsprozess und auch den Behandlungserfolg objektiv zu beschreiben. Mit den Mitteln der Stiftung Charité habe ich zusammen mit einem Physiker die Elastographie weiterentwickelt. Normalerweise legt man beim Ultraschall den Schallkopf auf den Bauch, dann gehen Wellen vom Schallkopf aus und werden direkt von ihm gemessen. Bei der neuen Methode steht unter der Untersuchungsliege ein großer Basslautsprecher, der mechanische Wellen erzeugt. Diese gehen durch den Körper und der Schallkopf registriert die Veränderungen, die im Gewebe entstehen.

Sie werden nicht nur selbst gefördert, sondern waren aktiv an der Initiierung von Programmen beteiligt, um Klinik und Forschung an der Charité zu verbinden. Wie kamen Sie dazu?

Meine eigene Karriere wurde stark durch einen Forschungsaufenthalt in den USA geprägt. Dort habe ich auch einen Teil meiner ärztlichen Ausbildung absolviert. Ich war beeindruckt, wie strukturiert und effektiv die klinische Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten und der kollegiale Umgang in den USA abliefen. Mit diesen Eindrücken aus der Krankenversorgung und der wissenschaftlichen Ausbildung kam ich nach Deutschland zurück. Mein Wunsch war es, diese anglo-amerikanische Ausbildungsmethodik auch hier einzuführen. Als Alumnus der BMW Stiftung Herbert Quandt und der Stiftung Charité liegen mir verantwortungsvolle kollegiale Führung und der wissenschaftliche Nachwuchs am Herzen. Daher habe ich das von der VolkswagenStiftung und der Stiftung Charité mit dem Offen für Außergewöhnliches Programm ausgezeichnete und geförderte, innovative Clinician-Scientist Konzept zur integriert-strukturierten klinisch-wissenschaftlichen Ausbildung von Ärzten initiiert und mitkonzipiert. Es wurde mittlerweile von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) sowie dem Wissenschaftsrat (WR) als nationales Musterprogramm für die Hochschulmedizin definiert. Wir brauchen in Deutschland aber auch Perspektiven für Mediziner, die nicht den klassischen akademischen oder klinischen Karriereweg gehen. Nicht alle Ärztinnen und Ärzte, die an die Charité kommen, möchten Grundlagenforschung machen. Man braucht auch Krankenhausmanager, die im Sinne von Johanna Quandt unternehmerisches Denken mitbringen. Andere Mediziner sind vielleicht gar nicht wissenschaftlich tätig, sondern besonders talentiert darin, Studierenden die klinische Medizin zu lehren.

Wie teilen Sie sich selbst die Arbeit ein?

In meinem Vertrag steht, wie in Deutschland üblich: Arzt, Wissenschaftler, und Hochschullehrer. Es gibt keine prozentuale Aufteilung. Es ist ein gesellschaftlicher Konflikt, dass wir uns forschende Ärzte wünschen, aber nur zu Anfang der Karriere die Rahmenbedingungen dafür schaffen. Als Oberarzt ist man eigentlich vollzeitig in der Krankenversorgung eingebunden, ohne strukturierte Forschungszeit. Das ist ein absoluter Wettbewerbsnachteil zu anderen Ländern. Ab 2017 werde ich in Kanada an der University of Alberta die Leitung der Universitätsklinik übernehmen. In meinem Arbeitsvertrag gibt es eine prozentuale Aufteilung für Klinik, Forschung und Lehre. Das würde ich mir auch hier wünschen. Das erfolgreiche Clinician Scientist-Programm und die Optionen für Clinical Fellows an der Charité sind bereits wichtige Schritte in diese Richtung. Darüber hinaus sollte gewährleistet werden, dass es sich nicht immer nur um zeitlich begrenzte Forschungszeiten handelt, sondern langfristige Perspektiven für forschende Ärzte geschaffen werden. So könnte die Charité eine klare Vorreiterrolle in der Neustrukturierung der Hochschulmedizin einnehmen. 

2017 / TO und MM