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Ein transatlantisches Forschungsprojekt auf der Suche nach dem heiligen Gral des Tissue Engineering

Die Bioingenieurin Prof. Dr. Milica Radisic entwickelt an der University of Toronto in Kanada Technologien, mit denen sich Herzgewebe im Labor herstellen lässt. Im Rahmen ihres Visiting Fellowships ist sie nach Berlin gekommen, um mit dem Gefäßbiologen Prof. Dr. Holger Gerhardt an einer zentralen Frage ihres Forschungsfeldes zu arbeiten: Wie lässt sich im Labor gezüchtetes Gewebe zuverlässig mit stabilen Blutgefäßen versorgen? Die Kooperation ist am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) verankert, wo Gerhardt eine Forschungsgruppe leitet. Ihre Zusammenarbeit führt zwei Disziplinen zusammen, die sich lange unabhängig voneinander entwickelt haben: die Gefäßbiologie und das Bioengineering. Wie interdisziplinär die Arbeit des transatlantischen Teams ist, zeigt ein Rundgang durch das Labor in Berlin-Buch. Bevor wir mit dem Interview beginnen, führt mich Dr. Ibrahim Maulana, der Postdoktorand im Projekt, durch die Räume und zeigt mir die kleinen Kunststoffchips, mit denen sie im Projekt arbeiten. Jeder Chip enthält präzise gefertigte, haarfeine Mikrokanäle, die den Aufbau von Gewebe und Blutgefäßen im menschlichen Herzen nachbilden. Statt Blut fließt eine Nährlösung durch die Kanäle und ermöglicht es dem Team, das Verhalten von Gefäß- und Herzmuskelzellen unter kontrollierten, dabei physiologisch möglichst realistischen Bedingungen zu analysieren. Radisic, Gerhardt und Maulana untersuchen, wie sich Gefäßnetzwerke bilden, wie Zellen auf Stress reagieren und ob es geschlechtsspezifische Unterschiede im Verhalten der Zellen gibt. Langfristig hoffen die Forschenden, auf Basis neuer Erkenntnisse im Labor erzeugtes Gewebe skalieren zu können, humanbasierte Modelle in der Forschung insgesamt zu verbessern und neue regenerative Therapien zu ermöglichen.

In Ihrem Antrag auf das Visiting Fellowship der Stiftung Charité bezeichnen Sie stabile, durchströmbare Blutgefäße als den „heiligen Gral“ des Tissue Engineering. Warum ist das so – und was möchten Sie mit diesem Projekt erreichen?

Gerhardt: Alles, was über eine bestimmte Größe hinauswächst, braucht Blutgefäße, um mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt werden zu können. Wenn wir im Labor Organgewebe herstellen wollen, das größer ist als mikroskopisch kleine Stückchen – etwa eine Leber für eine Transplantation –, dann benötigen wir ein durchströmbares Gefäßnetz. Das eigentliche Organgewebe nachzubauen ist der wissenschaftlichen Gemeinschaft deutlich leichter gelungen. Aber es zu vaskularisieren – also stabile, funktionale Blutgefäße zu erzeugen – ist extrem schwierig. Wir haben eine Vorstellung davon, warum das so komplex ist. Und indem wir das Know-how der Gefäßbiologie mit dem des Bioengineering zusammenbringen, glauben wir, das Problem lösen zu können. Genau deshalb wollte ich unbedingt mit Milica zusammenarbeiten.

Radisic: Als ich vor 25 Jahren Doktorandin war, dachte ich ehrlich gesagt, dass man heute bei Herz- oder Leberversagen ins Krankenhaus gehen könnte und dort gesagt würde: ‚Kein Problem! Wir züchten Ihnen Ersatzgewebe.‘ Aber so weit sind wir noch immer nicht. Wir können weiterhin nur sehr kleine Gewebeteile herstellen, die dünn sind wie ein menschliches Haar. Sobald sie größer werden, sterben die Zellen im Inneren ab, weil sie nicht mit Blut versorgt werden.

Deshalb bezeichne ich Vaskularisierung als den heiligen Gral. Im Moment ist sie der limitierende Faktor im Tissue Engineering, in der regenerativen Medizin und bei Organ-on-a-Chip-Modellen. Wenn wir stabile, durchströmbare Blutgefäße herstellen könnten, könnten wir größere Organgewebe produzieren, wir könnten verschiedene Organmodelle zu einem Body-on-a-Chip verbinden und wir könnten den Bedarf an Tierversuchen verringern. Vaskularisierung bleibt die zentrale Herausforderung, die zwischen dem heutigen Forschungsstand und wirklich bedeutsamen Fortschritten im Therapieangebot steht.

Milica Radisic

Förderprogramm
Visiting Fellows

Gastgeber
Prof. Dr. Holger Gerhardt

Förderzeitraum
seit 2024

Fachgebiet
Bioengineering / Kardiovaskuläres Tissue Engineering

Vorhaben
Integrierte Mikrofabrikation und der Einsatz residenter Makrophagen zur Entwicklung vaskulärer Netzwerke in Herz- und Lungengewebe

Institution
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC)

 

Seit 2022
Canada Research Chair für Organ-on-a-Chip Engineering

Seit 2017
Direktorin des Ontario-Quebec Center für Organ-on-a-Chip Engineering

Seit 2014
Professorin, University of Toronto

Abgesehen von Fortschritten in der personalisierten Medizin oder verbesserten in-vitro-Tests für Medikamente heißt das also, dass erfolgreiche Vaskularisierung im Labor uns in der Zukunft befähigen könnte, erkrankte Herzen zu heilen oder gar ein im Labor gezüchtetes Herz zu transplantieren?

Radisic: Eines Tages: Ja! Falls wir erfolgreich sind.

Gerhardt:Wenn wir erfolgreich sind, nicht falls. (lacht) Aber diese Organ- und Vessel-on-a-Chip-Modelle sind mehr als der Ausgangspunkt für die große Vision klinischer Anwendbarkeit. Sie ermöglichen uns, grundlegende biologische Fragen im menschlichen Kontext zu untersuchen. Eine zentrale Frage beispielsweise ist die nach der Entstehung hierarchischer Gefäßnetzwerke. Wie organisieren sich die Gefäße und wie wählen sie ihren Durchmesser so, dass Blut fließen kann? Bis heute sind die Mechanismen, die den Durchmesser bestimmen und ein stabiles Netzwerk zwischen den einzelnen Verzweigungen aufrechterhalten, nicht vollständig verstanden. Mit menschlichen Vessel-on-a-Chip-Modellen können wir diese grundlegenden Prinzipien direkt in menschlichen Zellen untersuchen. Und wir können Krankheitsmechanismen im menschlichen Kontext erforschen – etwa: Worauf ist die konkrete Fehlbildung, die ein bestimmter Patient bzw. eine Patientin hat, zurückzuführen?

Ein weiterer Grund, warum wir betonen, dass die Gefäße durchströmbar sein müssen, ist folgender: Es geht nicht nur darum, was mit dem Gewebe passiert. Die Blutgefäße selbst verändern ihr Verhalten, je nachdem, ob sie durchströmt werden oder nicht. Ein Gefäß ohne Blutfluss stirbt entweder ab oder beginnt auszutreiben, um sich neu zu verbinden. Die Endothelzellen – also die Zellen, die die Blutgefäße auskleiden – wechseln ihren Zustand. Ein nicht durchströmtes Blutgefäß verhält sich wie ein entzündetes Gefäß, und das ist nicht das, was man haben möchte. Milica hat bahnbrechende Arbeiten dazu veröffentlicht, wie sich Entzündungen in künstlich erzeugten Gefäßen reduzieren lassen, und wir setzen einiges davon um. Und wir durchströmen unsere Chips konsequent.

Wie wurde das Herz zum Organ Ihrer Wahl, Frau Professorin Radisic? 

Radisic: Das Leben beginnt und endet mit dem Herzen. Es ist das erste Organ eines Menschen, das im Mutterleib zu funktionieren beginnt. Etwa in der dritten Schwangerschaftswoche wird der Sauerstoff so knapp, dass eine Pumpe benötigt wird, um Blut zu transportieren – sonst kann sich der Embryo nicht weiterentwickeln. Und wenn das Herz aufhört zu schlagen, endet das Leben. Deshalb ist es für mich das wichtigste Organ, und deshalb steht es im Zentrum meiner wissenschaftlichen Laufbahn. Es gibt noch immer viele ungelöste Fragen rund um das Herz und die Messlatte, sie zu beantworten, liegt sehr hoch.

Apropos Arzneimittelentwicklung: Wir brauchen gute, humanbasierte Modelle, um Therapien fürs Herz zu entwickeln. Aber wir können Menschen nicht einfach Kardiomyozyten entnehmen! Herzbiopsien werden nur extrem selten vorgenommen, und selbst wenn man ein kleines Stück Herzmuskel gewinnt: Diese Zellen lassen sich nicht vermehren. Kardiomyozyten können sich nicht teilen, sie sind terminal differenziert. Die einzige Möglichkeit, mehr Herzmuskelzellen zu erzeugen, besteht darin, Kardiomyozyten aus Stammzellen zu generieren – entweder aus humanen embryonalen Stammzellen oder aus induzierten pluripotenten Stammzellen, sogenannten iPSCs. Das sind Stammzellen, die aus differenzierten, spezialisierten Zellen wie Haut- oder Blutzellen durch Reprogrammierung in einen dem embryonalen ähnlichen Zustand zurückversetzt wurden.

Sie sagen, dass die Möglichkeiten des Tissue Engineering vor allem durch das Fehlen stabiler Blutgefäße begrenzt sind. Wie gehen Sie diese Herausforderung an? Was unterscheidet Ihren Ansatz von anderen? 

Radisic: Organe bestehen aus vielen verschiedenen Zelltypen, die sich gegenseitig unterstützen. Wir konzentrieren uns in der Forschung oft auf die Hauptakteure – die Kardiomyozyten im Herzen, Hepatozyten in der Leber, Neuronen im Gehirn –, aber diese Zellen können alleine nicht überleben oder funktionieren. Sie brauchen, bildlich gesprochen, die Unterstützung ihrer Freunde. Was unseren Ansatz besonders macht, ist, dass wir vier für den Herzmuskel zentrale Zelltypen zusammenbringen: die schon erwähnten Kardiomyozyten (die kontraktilen Muskelzellen) mit den Endothelzellen (die die Gefäße auskleiden), den Fibroblasten (Stütz- und Strukturzellen) und residenten Makrophagen (Immunzellen, die dauerhaft im Gewebe leben).

Erst seit Kurzem wissen wir durch die Analyse hochaufgelöster Einzelzelldaten, dass nahezu jedes Organ über solche Immunzellen verfügt. Diese Makrophagen spielen eine entscheidende Rolle dabei, Gewebe gesund zu halten und seine Regeneration zu unterstützen. Wir glauben, dass sie in den beschriebenen Ko-Kulturen auch entscheidend für eine langfristige Stabilisierung der Gefäße sein könnten. Aber man kann sie nicht einfach hinzufügen. Residente Makrophagen werden ‚resident‘, indem sie während der Entwicklung Zeit im Gewebe verbringen. Das ist ein klassisches Henne-Ei-Problem: Das Gewebe muss die Makrophagen prägen, und gleichzeitig braucht das Gewebe die Makrophagen, um sich richtig entwickeln zu können. 

Unser Ziel ist es, eine Umgebung zu schaffen, in der diese verschiedenen Zelltypen einen funktionalen Kreislauf bilden können – in dem sie sich erkennen, miteinander kommunizieren und gegenseitig stabilisieren, sodass jede dieser Zellen so funktionieren kann, wie sie es auch im ‚echten‘ Körper tun würde.

Gerhardt: Residente Makrophagen sind faszinierende Zellen. Sie sind äußerst dynamisch. Während ein Gefäß entsteht, schmiegen sich die Makrophagen daran an, hüllen es ein und tun etwas, das wir noch nicht vollständig verstehen. Sobald Blut zu fließen beginnt, ziehen sie sich zurück. Sie haben ihre Aufgabe offensichtlich erfüllt. Ihr Verhalten hängt stark vom Zustand des Gewebes ab. Regeneration verläuft in Phasen: eine frühe Entzündungsphase, gefolgt von einer Auflösungsphase. Die richtige Phase für die Geweberegeneration zu treffen – und das zuverlässig hinzubekommen – gehört zu den großen Herausforderungen im Labor.

Aber es geht nicht nur darum, die Zellen in den je adäquaten Zustand zu versetzen, sondern auch um die richtige Zellidentität für jedes Organ. Das ist die Frage der sogenannten Organotypizität: Ein Makrophage, der die Regeneration in der Leber unterstützt, unterscheidet sich von einem Makrophagen im Herzen. Gleiches gilt für die Endothelzellen. Wir brauchen nicht einfach irgendwelche Gefäße, sondern die richtigen Gefäße für das Herz, mit passender endothelialer Identität und funktioneller Kopplung. Das ist eine der größten Hürden auf dem Weg zur Erzeugung stabiler, durchströmbarer Gefäße.

Maulana: Als Team gehen wir diese Herausforderungen an, indem wir ingenieurwissenschaftliche Strategien über mehrere Ebenen hinweg einsetzen. Das macht unseren Ansatz einzigartig. Auf zellulärer Ebene nutzen wir die Überexpression von Transkriptionsfaktoren, damit sich die vier verschiedenen Zelltypen, die wir fürs Herz brauchen, parallel entwickeln können. Wir steuern iPSCs gezielt so, dass sie genetischen Programmen folgen, die klar vorgeben, welchen Entwicklungspfad die Zellen einschlagen sollen. So entstehen die passenden Zellkombinationen von Anfang an gemeinsam. Auf Gewebeebene konstruieren wir eine Mikroarchitektur, die dem Herzgewebe ähnelt. Dadurch ‚denken‘ die Zellen, sie befänden sich im menschlichen Körper statt in einer künstlichen Umgebung. Und wenn ihr Umfeld stimmt, beginnen sie dann eben auch, sich wie im Körper zu verhalten. 

Radisic: Ein großer Vorteil hier in Berlin ist die iPSC-Biobank: Die Qualität der Zelllinien, die wir hier erhalten, ist hervorragend. In Toronto haben wir keine solche Ressource. Früher basierten unsere Modelle immer auf einem wilden Mix, wenn man so will: Die Kardiomyozyten kamen von einer Spenderlinie, die Endothelzellen von einer anderen, die Makrophagen von einer dritten. Jetzt stammen alle Zelltypen aus derselben Spenderlinie. Das macht einen großen Unterschied für die Konsistenz und Modellierbarkeit – und ist vermutlich entscheidend, um residente Makrophagen zu etablieren.

Gerhardt: Ein Aspekt, den wir noch gar nicht angesprochen haben, ist der geschlechtsspezifischer Unterschiede auf zellulärer Ebene. In unserer Arbeit zu Herzinsuffizienz haben wir gesehen, dass Endothelzellen von Männern und Frauen unterschiedlich auf kardiometabolischen Stress reagieren – und zwar unabhängig von Hormonen. Diese intrinsischen zellulären Unterschiede könnten erklären, warum sich Herzschwäche bei Frauen und Männern unterschiedlich entwickelt. Mit unserem Modell, in dem alle Zellen aus derselben Stammzelllinie stammen, können wir diesen geschlechtsspezifischen Unterschieden gezielt nachgehen.

Spannend! Und es klingt, als läge in diesem Bereich noch viel Arbeit vor der wissenschaftlichen Gemeinschaft. Dr. Maulana, wie ist es, dieses Projekt zwischen Toronto und Berlin durchzuführen?

Maulana: Ich habe in einem Bioengineering-Labor in Tübingen promoviert und schon damals war mein Wunsch, einmal in einer Umgebung zu arbeiten, in der ich mehr Biologie lernen und die Technologien, mit denen ich arbeite, in einen größeren Zusammenhang stellen kann. In Toronto habe ich mein Fachgebiet ein Stück weit gewechselt: Ich bin von der Krebsimmunologie ins kardiovaskuläre Tissue Engineering gewechselt, auch wenn ich weiterhin ähnliche technologische Ansätze nutze. In Kanada habe ich gelernt, Organ-on-a-Chip-Technologien, die ich bereits kannte, in einen kardiologischen Kontext zu übertragen. Zugleich habe ich Mikro­fabrikationstechniken kennengelernt, zu denen ich vorher keinen Zugang hatte. Jetzt, in Holgers Labor in Berlin, lerne ich vor allem die Biologie dahinter – das Warum hinter meinen Modellierungen. Manchmal sage ich scherzhaft, ich sei hier eine exotische Spezies: wahrscheinlich der einzige Bioingenieur in einem Biologielabor!

Gerhardt: Aber du passt perfekt hierher!

Radisic: In Toronto haben wir einen hochentwickelten Reinraum für die Mikrofabrikation. Wir können dort Kunststoff verarbeiten, Hot Embossing und Spritzguss nutzen und wir verfügen über fortgeschrittene 3D-Drucksysteme wie NanoScribe und UpNano für die Zwei-Photonen-Polymerisation – alles unter einem Dach. Ibrahim ist nach Toronto gekommen, um die Masterformen herzustellen. Das war im Januar, nicht unbedingt die beste Jahreszeit. (lacht) Es war eiskalt, aber er hat es geschafft! Er hat die Masterformen mit nach Berlin genommen und so können wir sie jetzt nutzen, um viele weitere Chips herzustellen. Das funktioniert im Grunde wie eine Druckerpresse: Wenn man die Druckplatte einmal hat, kann man so viele Chips produzieren, wie man braucht.

Frau Professor Radisic, Sie haben zwei Unternehmen gegründet, das Innovationszentrum CRAFT in Toronto mit aufgebaut und ein Ausbildungsprogramm in Organ-on-a-Chip-Engineering und Unternehmertum ins Leben gerufen. Wie wichtig ist ein unternehmerisches Mindset in der Forschung?

Radisic: Für mich ist klar: Die Ingenieurwissenschaft ist eine angewandte Wissenschaft. Wenn man eine Technologie nicht in die Praxis überträgt, landet sie im Regal – und bleibt dort ungenutzt. Deshalb wollte ich unsere Heart-on-a-Chip-Technologie unbedingt in die Anwendung bringen. Ich wollte, dass sie Menschen hilft. Als ich meine Erfindung der Universität in Toronto gemeldet habe, erklärte mir das Technologietransferbüro jedoch, sie habe ‚kein kommerzielles Potenzial‘. Den Brief, in dem das steht, habe ich bis heute! In so einem Moment kann man aufgeben und verzweifeln – oder man macht weiter. Ich hatte das Glück, Menschen wie Gordana und Bob[1] zu kennen, die in den USA arbeiten, wo der Unternehmergeist stärker ausgeprägt ist. Zu der Zeit waren Venture-Capital-Firmen zudem bereit, gewisse Risiken einzugehen und zu investieren. So entstand das Unternehmen, das später von einer KI-Firma namens Valo Health übernommen wurde. Diese hat kürzlich einen Vertrag über 4,6 Milliarden Euro mit Novo Nordisk zur kardiometabolischen Wirkstoffforschung bekanntgegeben.

Es ist also möglich, wissenschaftliche Entdeckungen in den Gesundheitsmarkt zu bringen – aber es kostet unglaublich viel Blut, Schweiß und Tränen. Eine akademische Idee in ein Produkt zu überführen, ist extrem anspruchsvoll und hat wenig mit dem zu tun, was man im Fernsehen sieht. Deshalb sollten Studierende früh mit unternehmerischem Denken in Berührung kommen, neben aller wissenschaftlichen Expertise, die sie sich aneignen.

Professor Gerhardt, die Helmholtz-Gemeinschaft und insbesondere das MDC planen einen umfassenden Ausbau im Bereich Bioengineering, mit neuen Forschungsstellen und einer umfassenden KI-Biomedizin-Initiative. Wie fügt sich Ihre Zusammenarbeit in diese Pläne ein? Und ist Professorin Radisic an der Gestaltung dieser Vision beteiligt?

Gerhardt: Der Zeitpunkt für unsere Kooperation hätte kaum besser gewählt sein können: Milicas Fellowship, unsere Zusammenarbeit und die Entscheidung von Helmholtz, Bioengineering als zentrales Zukunftsthema zu setzen, fielen perfekt zusammen. Milicas Aufenthalte in Berlin bringen regelmäßig neue Ideen hervor. Und mit Ibrahim im Labor habe ich endlich jemanden vor Ort mit direkter Expertise in Bioengineering, der die Dinge sofort einschätzen kann. Das bedeutet, dass ich Milica nicht ständig in einer anderen Zeitzone belästigen muss – was wirklich hilft.

Wir haben gerade eine große Förderung am MDC erhalten – rund 30 Millionen Euro –, um neue Forschungsinfrastruktur aufzubauen: ein Zentrum namens AI2M für AI-getriebene medizinische Innovation. Viele der Projekte, die in diesem neuen Kontext angesiedelt sein werden, liegen an der Schnittstelle von KI und Bioengineering und führen in Richtung personalisierte Medizin. Deshalb kann ich mit Überzeugung sagen: Das ist ein Wachstumsfeld mit neuen Stellen und Investitionen. Und hoffentlich stärkt das auch die Partnerschaft zwischen Toronto und Berlin weiter.

Stellen Sie sich vor, wir treffen uns in drei oder fünf Jahren wieder. Ihre gemeinsame Arbeit war erfolgreich. Was wäre die Schlagzeile?

Radisic: Was würde CNN sagen?! Scientists achieved… what?

Maulana: Scientists model personalized cardiac and vascular function.

Gerhardt: (lacht) Daran arbeiten wir noch. Wir brauchen eine griffigere Formulierung.

Radisic: Heiliger Gral gefunden – in Berlin! Forschende erzeugen stabile Gefäße, die wochenlang halten. (alle lachen) 

Gerhardt: Wir werden sehen … aber die Richtung, in die es geht, ist schon vielversprechend!

Dr. Inga Lödige und Dr. Nina Schmidt
Oktober/November 2025
 


[1] Radisic bezieht sich hier auf Gordana Vunjak-Novakovic, Professorin an der Columbia University, eine führende Figur im Bereich des Tissue Engineering und Mitgründerin mehrerer Biotech-Unternehmen, sowie auf Robert Langer, Professor am Massachusetts Institute of Technology (MIT), einen der weltweit meistzitierten Biotechnologen und Mitgründer zahlreicher Biotech-Unternehmen, darunter Moderna.