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Über die bessere Behandlung von Depressionen und die Unwägbarkeiten des Alltags in einer psychiatrischen Klinik

Prof. Dr. Stephan Köhler absolvierte sein Medizinstudium an der Charité – Universitätsmedizin Berlin und ist auch heute noch vor Ort tätig. Als stellvertretender ärztlicher Direktor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Campus Mitte beschäftigt er sich im Besonderen mit der therapieresistenten sowie chronischen Depression. Im Zuge seiner klinisch-wissenschaftlichen Arbeit wird er von der Stiftung Charité als BIH Clinical Fellow gefördert. Doch wie kam Herr Köhler zur Depressionsforschung? Wie sieht eigentlich der Alltag an einer psychiatrischen Klinik aus? Und was konnte die Förderung unserem Fellow ermöglichen? Wir haben ihn vor Ort zum Interview getroffen.

Herr Professor Köhler, Ihr Vorhaben zielt auf die Entwicklung eines Prädiktionstools für Klinik und Lehre ab, das Therapieentscheidungen bei depressiven Erkrankungen optimieren soll. Warum besteht dahingehend ein Bedarf?

Die Depression ist eine Erkrankung, von der zwar alle eine gewisse Vorstellung haben, die jedoch sehr unterschiedlich ausfallen kann. Die Symptome variieren bei Betroffenen stark. Bis heute lässt sich nicht in Gänze verstehen, was da eigentlich neurobiologisch passiert und welche Faktoren eine Rolle spielen, von denen wir eine optimale Behandlungsstrategie ableiten können. Für jeden Patienten bzw. jede Patientin kommt eine andere Therapie infrage. Eine Unsicherheit, die hinsichtlich der Behandlung z.B. besteht, ist: Wirken Antidepressiva überhaupt oder handelt es sich hier um einen Placebo-Effekt? In den letzten Jahren hat die Forschung außerdem versucht, bestimmte Subtypen von Depressionserkrankungen zu klassifizieren. Wir in unserer Arbeitsgruppe haben uns beispielsweise intensiv mit der chronischen Depression beschäftigt, die nicht nur durch ihre Chronizität gekennzeichnet ist, sondern auch durch weitere Merkmale wie der frühe Beginn der Erkrankung. Wir wollen noch besser vorhersagen können, auf welche Art von Therapie ein Patient bzw. eine Patientin gut anspricht und auf welche nicht.

Was meinen Sie genau, wenn Sie von einem frühen Krankheitsbeginn sprechen?

Ein früher Krankheitsbeginn ist dadurch definiert, dass die Depression vor dem 21. Lebensjahr auftritt. Häufig liegt dann eine Traumatisierung im Sinne einer emotionalen Vernachlässigung vor, wenn die Kommunikation in der Familie geringschätzig ausfiel und/oder durch wenig Nähe charakterisiert war. Betroffene Patientinnen und Patienten haben oft große Probleme mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie können meist nur wenig Nähe zulassen und haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle oder Bedürfnisse auszudrücken. Wir und auch andere Arbeitsgruppen haben bereits festgestellt, dass die beschriebenen Merkmale Prädiktoren für das Ansprechen auf eine spezielle Art von Psychotherapie sein können. Diese Psychotherapie nennt sich „CBASP“.

Können Sie uns noch mehr über „CBASP“ erzählen?

Stephan Köhler

Förderprogramm
BIH Clinical Fellow

Förderzeitraum
Seit 2022

Fachgebiet
Psychotherapie

Vorhaben
Optimierung der Therapieentscheidung bei depressiven Erkrankungen: Entwicklung eines Prädiktionstools für Klinik und Lehre

Institution
Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

Seit 2017

Leiter der AG Affektive Erkrankungen

Seit 2022

Stellvertretender Klinikdirektor (Bereich Klinik) an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, Campus Mitte

Natürlich! CBASP steht für „Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy”. Das ist eine spezialisierte Psychotherapie für chronische Depressionen, die initial in den 2000er-Jahren konzeptualisiert wurde. Hier in dieser Klinik haben wir auch eine Station aufbauen können, die Patient*innen mit CBASP behandelt. Eine Besonderheit ist, dass die Behandlung einem bestimmten Konzept folgt: Die Patientinnen und Patienten sind zunächst für fünf Wochen stationär hier, danach bleiben sie fünf Wochen in der Tagesklinik und im Anschluss behandeln wir sie sechs Wochen ambulant. Dieses Vorgehen soll dabei helfen, dass die Betroffenen wieder zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen können, sich möglicherweise mehr öffnen und wieder mehr in der Lage sind, ihre Gefühle auszudrücken. Dazu machen wir eine Studie mit dem Ziel, unsere Erkenntnisse und die Erkenntnisse von anderen Arbeitsgruppen zusammenzuführen und daraus eine Art Prädiktionstool zu entwickeln.

Wie kann man sich dieses Prädiktionstool vorstellen, soll es sich dabei um eine Art Datenbank handeln?

Ja, jedoch wird es sicherlich keine Datenbank sein, bei der etwas Bestimmtes eingegeben und daraufhin die Lösung „ausgespuckt“ wird. Es wird vermutlich eher eine Art „Kompendium“, an dem wir uns orientieren können – beispielsweise, wenn wir uns fragen, was es bereits an Wissen gibt oder, wenn wir überprüfen wollen, auf welchen Patienten bzw. welche Patientin was eher zutrifft. Möglicherweise wird in den kommenden Jahren noch mehr Wissen dazukommen. Meiner Ansicht nach ist das Ziel nicht, eine Datenbank zur direkten Depressionsbehandlung zu initialisieren, sondern eine Datenbank, die uns Wissen über bestimmte Subtypen gibt, die wir dadurch noch besser charakterisieren können. Zwar gab es dahingehend bereits Versuche, allerdings haben es diese bisher noch nicht in die klinische Umsetzung geschafft.

Können Sie uns zwei Beispiele für „klinische Subtypen“ nennen?

Ein Beispiel ist der bereits angesprochene Typ der persistierenden depressiven Störung, also der chronischen Störung. Und ein ganz klassischer Typ, der dem sozusagen gegenübersteht, ist die melancholische, schwermütige Depression. Patientinnen und Patienten, die an dieser Art von Depression leiden, sind tatsächlich am schwersten betroffen.

Wie sieht eigentlich ein klassischer Arbeitstag bei Ihnen aus?

Typischerweise beginnt mein Tag damit, dass mir in der Frühkonferenz die Ärztinnen und Ärzte von ihrem Dienst berichten. Nach der Frühkonferenz erfolgt die Besprechung auf meiner Station mit dem Pflegepersonal, den Psycholog*innen, dem Sozialdienst und meinen Stationsärzt*innen. Einmal in der Woche ist im Anschluss eine Oberarzt-Visite, die ich leite. In der restlichen Zeit forsche ich und bin für die Klinikadministration zuständig. Dass ich genügend Forschungszeit einbauen kann, ist tatsächlich der Förderung zu verdanken.

In diesem Moment ertönt Professor Köhlers Pager. „Oh Entschuldigung, ich muss dringend auf Station“, ruft er und eilt davon. Nach einiger Zeit kehrt er zurück und betont:

Man weiß vorher nie, was hier alles passieren kann. Und genau das macht Psychiatrie auch so spannend!

Welche Rolle spielt Ihre Förderung als BIH Clinical Fellow angesichts eines solchen Klinikalltags?

Die Förderung schafft mir den Freiraum, trotz des klinischen Zeitaufwands Projekte zu verfolgen. In meiner Funktion als Oberarzt und stellvertretender ärztlicher Direktor bin ich für sehr vieles zuständig, insbesondere natürlich für meine Patientinnen und Patienten, aber auch für die Ambulanz. Zusätzlich bin ich für die Sprechstunde für therapieresistente Depressionen an unserer Klinik verantwortlich. Dort kommen Menschen zu mir, die schon viele Therapieversuche probiert haben, sich aber keine Besserung eingestellt hat, und wünschen eine Beratung. Im Schnitt komme ich mithilfe der Förderung aber auf anderthalb Tage pro Woche, an denen ich mich der Forschung widmen kann.

Wieder ertönt Professor Köhlers Pager: ein medizinischer Notfall. Diesmal müssen wir das Gespräch ganz abbrechen. Einige Wochen später treffen wir uns erneut, um das Interview fortzusetzen.

Herr Professor Köhler, was hat Sie in die Psychologie und die Depressionsforschung geführt?

In der Schule wurde meine Begeisterung für die Psychologie bereits entfacht, da ich diese als Schulfach hatte. Nach der Schule habe ich deshalb meinen Zivildienst in einer Psychiatrie absolviert. Dort hat mich das Miteinander im Team, der Umgang mit den Patientinnen und Patienten und die Vielfalt an Menschen beeindruckt. In meiner Doktorarbeit habe ich mich thematisch bereits mit der therapieresistenten Depression beschäftigt, was letztendlich meine Faszination für die Depressionsforschung vertieft hat. Mein Praktisches Jahr habe ich dann in dieser Klinik absolviert und bin seitdem ein echtes Eigengewächs der Charité – und weiter sehr glücklich hier.

Und wie finden Sie einen Ausgleich zu Ihrer Arbeit?

Den finde ich zurzeit vor allem in meiner Familie mit meinen drei Kindern und natürlich meiner Frau. Wir unternehmen viel mit unseren Kleinen, wann immer Zeit dafür ist. Ich versuche den Spagat zwischen Familie und Arbeitsleben hinzubekommen. Ansonsten freue ich mich, wenn ich ab und zu meine Freunde treffen kann, was leider oft zu kurz kommt. Daneben spiele ich gerne Tennis – das war sogar immer meine große Leidenschaft – doch in den letzten Jahren ist das leider etwas weniger geworden.

Zum Schluss noch eine Frage für die Fantasie: Wenn Sie drei Personen (tot oder lebendig) zu einem fiktiven Dinner einladen könnten, wer wäre das und warum?

Oh, da muss ich kurz überlegen… Als Erstes kommt mir Professor Ulrich Clement in den Sinn. Er ist Sexual- und Paartherapeut und hat mich in den letzten Jahren sehr geprägt, da ich einiges von ihm lernen konnte. Nicht nur seine differenzierte Art und Weise, mit Menschen und Systemen umzugehen, hat mich beeindruckt, sondern auch sein therapeutisches Handwerk. Daneben fällt mir noch Friedemann Schulz von Thun ein, der viele interessante Bücher über die Kommunikation zwischen Menschen geschrieben hat. Mit ihm würde ich mich gerne einmal darüber austauschen. Und wen ich ebenfalls gerne kennenlernen würde, ist Steffi Graf. Schon als Kind war ich fasziniert von ihr. Mir imponiert irgendwie, dass sie selbst nach ihrer beeindruckenden Karriere noch für Dinge einstand, die ihr wichtig waren.

Januar 2023 / Marike de Vries & Marie Hoffmann