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Dem Herzen ganz nah – Echokardiographie in Zeiten der Pandemie

Dr. Ursula Wilkenshoff leitet seit über zehn Jahren die Echokardiographie am Benjamin Franklin Campus der Charité. Neben ihrer klinischen Tätigkeit wird die erfahrene Oberärztin von der Stiftung Charité als BIH Clinical Fellow gefördert. Dem Unterschied zwischen Frauen- und Männerherzen ist sie seit vielen Jahren auf der Spur. Wir haben Frau Dr. Wilkenshoff im September 2020 an ihrem Arbeitsplatz in der Klinik besucht, um mit ihr nicht nur über ihr Projekt, sondern auch über ihre persönlichen Erfahrungen während der Covid19-Pandemie zu sprechen.

Frau Dr. Wilkenshoff, Sie befassen sich seit Ihrer Promotion mit der Methode der Echokardiographie. Was verbirgt sich dahinter und wozu braucht man sie?

Die Echokardiographie ist die Ultraschalluntersuchung am Herzen. Das ist eine wunderbare Methode, um in das Herz hineinzuschauen. Dabei können wir es von allen Seiten betrachten, seine genaue Größe bestimmen und seine Funktion untersuchen. Gibt es Herzfehler? Öffnen die Herzklappen noch gut? Wie dick ist die Herzwand? All das können wir mit dem Ultraschall genau sehen – übrigens viel besser als noch vor einigen Jahrzehnten. Die technische Entwicklung dieser Methode ist phänomenal. Die Bildgebung ist inzwischen so differenziert, dass wir das Herz 3-dimensional sehen können und sogar die Chirurgen und Kardiologen bei Operationen und Interventionen am Herzen begleiten. Anders als beim Röntgen haben wir beim Ultraschall auch keine Strahlenbelastung, sodass wir ohne Weiteres jüngere Patienten und Kinder oder auch Schwangere schallen können. Manche unserer Patienten, z.B. mit Wasseransammlungen im Herzen, kommen täglich zu uns. Das Herz nimmt von der Untersuchung keinen Schaden. Ein anderer großer Vorteil ist auch, dass unsere Geräte recht klein sind. Wir können mit portablen Echokardiographiegeräten auf die Stationen gehen. Notarztwagen sind damit ausgestattet, und auch Hausärzte nehmen diese Geräte inzwischen gern zu ihren Hausbesuchen mit.

Von welchen Stationen kommen denn die meisten Patienten zu Ihnen?

An erster Stelle stehen natürlich die kardiologischen Stationen. Aber wir haben auch zahlreiche Patienten, die von anderen Stationen zu uns kommen. Aus der Neurologie z.B. sehen wir häufig Schlaganfallpatienten. Aus der Hämatologie und Onkologie kommen häufig Krebspatienten zu uns. Wir haben zwar sehr gute und weit entwickelte Chemotherapien, aber manche haben zum Nachteil, dass sie das Herz schädigen können. Diese Patienten begleiten wir während und auch nach der Chemotherapie. Aus der Aufnahmestation untersuchen wir auch häufig Patienten. Wenn z.B. ein Patient mit Luftnot eingeliefert wird und das EKG [Elektrokardiogramm, Anm. d. Red.] nichts Auffälliges zeigt, dann ist das Echo meist die nächste Diagnostik, die zum Einsatz kommt.

Sie haben vorhin die Größe des Herzens angesprochen, die Sie genau bestimmen können. Ist es denn gut oder schlecht, ein großes Herz zu haben?

Eigentlich sagt man ja, es ist ein guter Mensch mit einem großen Herzen, aber aus Sicht der Echokardiographie ist das nicht so. Ein vergrößertes Herz bedeutet eigentlich immer, dass es die Struktur nicht mehr halten kann, weil die Herzfasern entweder durch einen Herzinfarkt oder durch eine Entzündung geschädigt sind. Dadurch geht es auseinander.

Ursula Wilkenshoff

Förderprogramm

BIH Clinical Fellows

Förderzeitraum
2017 bis 2022

Fachgebiet

Kardiologie

Vorhaben

Genderspezifische Aspekte in der Echokardiographie

Institution

Charité – Universitätsmedizin Berlin

 

Seit 1998

Funktionsoberärztin und Oberärztin sowie Leiterin der Echokardiographie, Charité - Universitätsmedizin Berlin, Campus Benjamin Franklin

Seit 1999

Fachärztin für Innere Medizin

1979 bis 1992

Medizinstudium und Promotion in Berlin

Ist denn das Sportlerherz, das gut trainiert ist und deswegen mehr Volumen hat, davon ausgenommen?

Gewissermaßen schon, aber diese Gruppe sollte auch aufpassen. Inzwischen werden immer mehr Sportler zusätzlich zum EKG mit dem Echo begleitet. Man achtet darauf, dass das Herz nicht zu groß wird und keine Hypertrophie entsteht. Auf Dauer kann das Herz das nämlich nicht gut tolerieren. Wenn es immer größer und kräftiger wird, dann leidet irgendwann die Pumpfunktion. Mithilfe des Echos kann man das frühzeitig erkennen, sodass ich mich freue, wenn diese Methode auch breitere Anwendungsgebiete in der Sportmedizin findet.

Im Rahmen Ihres Clinical Fellowships befassen Sie sich mit der genderspezifischen Befunderhebung in der Echokardiographie. Warum ist das wichtig?

„Frauenherzen schlagen anders als Männerherzen“ – das liest man inzwischen häufiger in den Medien. Und tatsächlich haben viele Untersuchungen zeigen können, dass das Frauenherz etwas anders auf Krankheiten reagiert als das Männerherz und dass die Krankheitssymptome unterschiedlich sind. Ein gutes Beispiel ist der Herzinfarkt. Inzwischen ist es bekannt, dass sich dieser bei Frauen symptomatisch häufig anders äußert als bei Männern – nämlich oftmals nicht durch starken Druck in der Brust und Schmerzen, die in den linken Arm strahlen, sondern eher durch diffuse Schmerzen, die in den Bauch und Rücken ausstrahlen und nicht selten begleitet sind von Übelkeit und Unwohlsein. Bis heute werden Herzinfarkte bei Frauen daher häufig nicht rechtzeitig erkannt. Nach wie vor bilden hier Männer die Norm, und das sollten wir ändern.

Haben Sie eine Ahnung, warum die Symptomatik bei Frauen und Männern unterschiedlich ist? Ist das eine Empfindungssache oder ist das molekular erklärbar?

Ganz genau weiß man das bis heute nicht. Was in diesem Zusammenhang allerdings interessant ist: Frauen und Männer verarbeiten Stress unterschiedlich. Vielleicht haben Sie schon von der stressinduzierten Tako-Tsubo-Kardiomyopathie gehört, also dem Broken-Heart-Syndrom? Das kommt sehr viel häufiger bei Frauen vor als bei Männern. Wenn die Frau plötzlich extremen Stress hat, z.B. durch ein sehr tragisches Ereignis in ihrem Leben, dann kann dies beim Herzen tatsächlich eine Schädigung verursachen, ähnlich einem Herzinfarkt. Im Echo können wir dieses gebrochene Herz daran erkennen, dass es in der Spitze stark aufgeweitet ist und die Pumpfunktion geschwächt ist. Das Herz steht unter enormem Druck, es ist quasi bis zum Zerbersten gespannt. Es gibt sogar Patientinnen, die daran sterben. Das Gute an dieser Erkrankung ist allerdings auch, dass sich das Herz davon in der Regel wieder erholt, sobald der Stress nachlässt. Meistens ist das Herz nach einigen Wochen wieder völlig normal.

Die genderbezogene Befunderhebung möchten Sie ja zur klinischen Routine machen. Wie ist es darum inzwischen bestellt?

Dass Frauen- und Männerherzen sich unterscheiden, z.B. in der Größe, und man deshalb in der Befundung unterschiedliche Normwerte anlegen muss, ist inzwischen allgemein bekannt. Hierzu gibt es zahlreiche Studien, und ich selbst habe ein Handbuch der Echokardiographie geschrieben, in dem die unterschiedlichen Normwerte aufgeführt sind. Auch in den Leitlinien ist dies inzwischen berücksichtigt. Dennoch ist es manchmal ein weiter Schritt von dem, was wir optimalerweise machen sollten, bis zur tatsächlichen Routine. Hier setzt mein Projekt an. Ich arbeite mit einem IT-Spezialisten zusammen, mit dem ich eine digitale Eingabemaske entwickle, in der geschlechtsspezifisch die entsprechenden Normwerte hinterlegt sind. Im Falle einer pathologischen Abweichung wird es ein farbliches Signal geben, sodass die Abweichung sofort erkannt werden kann. Das ist gerade für jüngere Kolleginnen und Kollegen in der korrekten Befundung sehr hilfreich. Das kommt übrigens nicht nur Frauen zugute, sondern diversen anderen Patientinnen und Patienten, weil wir neben dem Geschlecht auch die Körpergröße und das Gewicht einbeziehen. Für eine zierlich gebaute Person oder einen Jugendlichen gelten andere Normwerte als für einen Bodybuilder. Wir möchten auch den anderen Campi der Charité die Maske zur Verfügung stellen und zusammen die Maske ständig weiterentwickeln, damit neben der Herzgröße auch andere nützliche Parameter wie z.B. die Wanddicken oder die Funktion der einzelnen Herzhöhlen darin Eingang finden.

Lassen Sie uns nun zu einem sehr aktuellen Thema übergehen. Wie hat sich die Covid19-Pandemie auf Ihren Klinikalltag ausgewirkt?Ganz am Anfang war der Einschnitt massiv. Wir betraten wirkliches Neuland, und es herrschte große Unsicherheit. Wir sahen die schwerwiegenden Krankheitsverläufe in Italien und wussten erst einmal nicht, wie wir uns allgemein und insbesondere den Patienten gegenüber verhalten sollten. Es wurden dann relativ bald Untersuchungen von Patienten, die nicht lebensbedrohlich krank waren abgesagt. Die echokardiographischen Untersuchungen wurden auf ein Minimum beschränkt. Weil wir bei unseren Untersuchungen keinen hinreichend großen Abstand zu den Patienten halten können, haben wir von Anfang an Masken benutzt, obwohl zu dem Zeitpunkt noch gar nicht klar war, ob sie überhaupt etwas nutzen.

Nach dieser ersten Schockphase haben wir Standard Operating Procedures (SOPs) für alle Campi der Charité erarbeitet. Wie verhalten wir uns, wenn ein Patient mit Covid-Diagnose kommt? Was ist mit einem Verdacht und was ist mit einem Patienten, der noch überhaupt keinen Test hat? Wie untersuchen wir sie, untersuchen wir sie überhaupt und wo untersuchen wir sie? Dies waren alles Fragen, die dringend geklärt werden mussten. Mit den SOPs hatten wir dann etwas in der Hand, wonach wir uns richten konnten. Kollegen, die jemals auf der Intensivstation waren, bekamen nochmals eine Einarbeitung für die Beatmungsgeräte. Und es wurden Ärztinnen und Ärzte bereitgehalten für diese Stationen und für die Covid-Stationen, die dann eingerichtet wurden. Die Ausrüstung dieser Stationen und die Entsendung der Mitarbeiter ging auch wirklich schnell. Das war eine aufregende Zeit, in der es jeden Tag neue Nachrichten gab.

Haben Sie denn in Ihrer klinischen Praxis nun auch mit Covid19-Patienten zu tun?

Ja, unter ganz besonderen Vorkehrungen untersuchen wir die Patienten auf der Station. Wir haben auch schon einige schwerwiegende Verläufe gehabt. Erst wenn sie gesundet sind und drei Mal negativ abgestrichen sind, kommen diese Patienten auch direkt zu uns in die Echokardiographie. Ich habe etliche Patienten gesehen, die wirklich schwer beeinträchtigt sind. Auch eine Kollegin aus meinem persönlichen Umfeld hat es getroffen und das hat mich sehr mitgenommen. Sie war so schwer erkrankt, dass sie beatmet werden musste und kam dann zum Echo mit der Frage, ob die Herzfunktion beeinträchtigt sei. Doch die Pumpfunktion war gut – wie bei zahlreichen anderen Covid19-Patienten. Dennoch war sie als eigentlich sportliche Person so schwach, dass sie nicht mehr von ihrem Rollstuhl auf die Liege gehen konnte. Ihre Nieren sind in Mitleidenschaft gezogen, sie hat Kopfschmerzen und ihr Gedächtnis ist beeinträchtigt. Das hat mich ziemlich schockiert.

Kommen auch Patienten zu Ihnen, die nicht vorher intensivmedizinisch versorgt werden mussten? Man liest ja auch relativ viel über Betroffene, die nach einem eher milden Verlauf nicht mehr so richtig in Schwung kommen.

Ja, davon habe ich auch einige gesehen. Sie werden häufig von ihren Hausärzten überwiesen mit der Frage, ob die Fatigue [Müdigkeitssyndrom, Anm. d. Red.] vielleicht an einer gestörten Pumpunktion liegt. Doch das ist nicht der Fall. Bei den Patienten, die ich gesehen habe, konnte ich keine groben Veränderungen in der Herzleistung sehen. Die Herzkraft war nicht beeinträchtigt. Eine Sache ist allerdings interessant. Wir unterscheiden in der Medizin zwischen Systole, wie das Herz kontrahiert, und Diastole, wie das Herz entspannt. In der Kontraktion hatten diese Patienten keine große Einschränkung. Allerdings war die Diastole auffällig. Das Herz hatte Entspannungsstörungen. Das ist übrigens etwas, was bei Frauen grundsätzlich häufiger vorkommt als bei Männern. Wir Echokardiographeure müssen darauf achten, dass wir uns nicht nur auf die Systole konzentrieren, also wie stark das Herz pumpt, sondern auch darauf schauen, wie sich das Herz entspannt.

Mit Entspannung hatten die letzten Monate wahrscheinlich wenig zu tun. Wie hat sich die erste Pandemiephase auf Sie und Ihr persönliches Umfeld ausgewirkt?

Wir waren in Aufruhr. Wir haben an unsere Familien und Freunde gedacht. Es wurde sogar überlegt, ob wir in der Klinik übernachten sollen, weil wir Patientenkontakt haben. Man kann nicht leugnen, dass das eine Zeit der besonderen Unsicherheit und Belastung war. Eine große Hilfe war, dass wir so einen wunderbaren Zusammenhalt im Team hatten und haben. Trotz der Absagen fast aller persönlichen Besprechungen, Kurse und Fortbildungen sind wir in der Echokardiographie und der gesamten Klinik in der Zeit des Abstands zusammengewachsen. Jede und jeder hat versucht sein Bestes zu geben, um die Situation gemeinsam zu bewältigen. Darüber bin ich sehr glücklich und dankbar.

September 2020 / Marie Hoffmann